Stille Backwaters, volle Züge!

Es ist noch früh als wir uns schon wieder verabschieden müssen. Heute machen Marta und ich uns auf in die Backwaters. Ein grünes 1900 Quadratmeter großes Labyrinth aus Kanälen, Flüssen und Lagunen im Süden Keralas. In Allepey besteigen wir unsere zu einem Wohnschiff umgebaute Reisbarke. Für drei Tage unser neues zuhause. An Bord nur wir zwei, und unsere drei Crewmitglieder. Schnell wird klar dass Hände und Füße in den nächsten Tagen als Mittel der Kommunikation herhalten müssen. Aber unser Kapitän  – höchsten 25 – kann wunderbar mit dem Kopf wackeln und „No Problem“ sagen – Marta übt noch.

Für drei Tage gleiten wir durch die Flussarme und über Seen. Wir beobachten das Leben rechts und links der Ufer, Kinder die früh am Morgen am Fluss ihre Zähne putzen, Frauen die samt Sari im Wasser stehen um Geschirr und Wäsche zu waschen, Männer die auf Reisfeldern schuften. Wir lassen uns treiben. Sobald die Sonne untergeht legen wir an – meist in der Nähe eines Hauses eines der Crewmitglieder. Schnell werden wir zur Attraktion – Kinder die sich in Scharen versammeln um „die weißen Frauen“ zu sehen. Auch die heimische Tierwelt hat ihr Interesse an uns entdeckt. So leisten uns allabendlich unzählige Geckos beim Essen Gesellschaft, und manchmal wagt eine Ratte den mutigen Sprung vom Ufer ins Boot, die wir daraufhin energisch wieder hinaus wieder befördern. Unser Boot! Drei wunderbare Tage ziehen an uns vorbei, und noch lange werden wir das klatschen der nassen Wäsche in unseren Ohren haben, das uns jeden morgen sanft geweckt hat.

Von der großen Stille hinein ins größte Gewühl: Bahnhof Ernakulum. Heute geht es nach Goa und vor uns liegen noch knappe 20 Stunden Zugfahrt. Das Chaos fängt schon lange vor der Fahrt an beim Versuch eine Zugfahrkarte zu ergattern – es gibt ganze Bücher darüber! Und ich kann nur jedem raten sich lange genug im Voraus damit auseinanderzusetzen. Am Bahnhof lässt uns eine Kreidetafel wissen wo sich welcher Zug, und wo in diesem sich unser Abteil befindet. Abschnitt 19! Dumm nur, dass die Tafel mit der Nummer 19 gleich zweimal vorhanden ist  – einmal von rechts betrachtet und einmal von links – jeweils am entgegen gesetzten Ende des Bahnhofs. Unsere hilflosen Blicke richtig deutend klärt uns ein indischer Mitreisender auf, dass das relevante Schild immer davon abhängig ist, aus welcher Richtung der Zug kommt – Na toll. Er outet sich aber als Vielfahrer und ist sich seiner Sache was diesen Zug angeht sehr sicher! Wir machen drei Kreuze als wir in unserem Abteil sitzen.

2.Klasse AC. Ein langer Wagon von dem rechts immer kleine Waben mit 6 Sitzplätzen abgehen, die nachts zu Liegen umgebaut werden. Taschen zu unseren Füßen verstaut und gemütlich gemacht. Noch ist es leer, aber mit jedem Bahnhof den wir passieren füllt sich unser Zu Hause auf Zeit. Die ersten Reisenden machen es sich auf den obersten Liegen bequem, und hier und da ragen uns nackte Füße entgegen. Unsere Sorge im Zug einen Mangel an Nahrung zu haben war wie sich bald heraus stellt völlig unnötig. Bei jedem Halt stürmt ein Heer fliegende Händler den Zug und verkauft von gerösteten Erdnüssen bis hin zu frittierten Teigtaschen alles was das Herz begehrt. Dazu gibt es den süßesten Kaffee der Menschheit (gleich fertig gemischt mit Zucker und Milch) und köstlichen Chai Tee. Nach fast 9 Tagen in Indien sind wir mittlerweile so was von abgehärtet, dass uns und unseren Mägen nichts mehr etwas anhaben kann. Als wir dann allerdings das im Zug angebotene Abendessen bestellen ernten wir besorgte Blicke unserer mitreisenden Inder. Sie selbst würden dass Essen ja nie bestellen, da man ja nicht wisse woher es kommt – und packen wie auf Kommando ihr mitgebrachten Leckereien von daheim aus. Na super! Etwas skeptisch begutachten wir unsere Aluschälchen – aber der Hunger siegt. Wen interessiert schon was da drin ist? Richtig!

Ein indischer Zug ist ein wahrer Mikrokosmos. Hier reisen Familien mit 6 Kindern ebenso wie Geschäftsleute auf dem Weg nach Mumbai. Es ist voll, laut und lebhaft – und wir mittendrin. Es dauert nicht lange bis Marta eine Gruppe Inder dazu überreden kann die indische Nationalhymne zum Besten zu geben – der ganze Zug applaudiert und unsere Videokamera ist stiller Zeuge. Zu später Stunde finde ich mich inmitten eines Scrabble Teams wieder und muss doch sehr über den Erfindungsreichtum meiner Mitspieler schmunzeln. Um aus dem Fenster zu gucken sind diese viel zu verschmutzt – dafür kann man sich nach Belieben an die offene Zugtür stellen – wer raus fällt ist selber Schuld…Und wer die Toilette benutzt auch… Oberstes Gebot auf einer Reise durch Indien sollte übrigens immer sein, seine eigene Rolle Klopapier dabei zu haben. Solch Schnickschnack findet sich nämlich auf keinem stillen Örtchen im ganzen Land… und wer Wert drauf legt muss sich halt selbst kümmern. Um 22 Uhr wird das Licht gelöscht und wir kuscheln uns in unsere mitgebrachten Decken…und so ruckeln wir uns durch die Nacht Goa entgegen.

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