Mumbai – Stadt der Widersprüche

Die Sonne weckt uns bereits wenige Stunden später, und schließlich haben wir ja auch keine Zeit zu verlieren. Von unserem Fenster aus sehen wir wie die Sonne sich über dem Gateway of India hervorwagt und wie das Leben auf den Straßen langsam erwacht – unsere erste Foto-Chipkarte ist bereist jetzt voll.

Nach einem großartigem Frühstück mit Omeletts Massala Style stürzen Marta und ich uns in die Gassen und Straßen der Stadt. An unserer Seite Vinita, ungefähr 50, graumeliert, äußerst resolut und unser Guide. Unser Wissensdurst prasselt wie ein Wasserfall auf sie ein und Vinita versucht uns zu jedem Haus, jeder Gasse, jeder Eigenart die wir erblicken eine Erklärung zu liefern. Äußerst auffällig, dass auch während des Tages Verkehrsregeln eine durchaus untergeordnete Rolle spielen. Rote Ampeln interessieren die Wenigsten, eine 2spurige Straße wird gerne auch mal zur 6spurigen ausgebaut und überhaupt hat Recht wer am lautesten hupt. Einzige Ausnahme bilden hier die Kühe – auf die nimmt man Rücksicht – wahrscheinlich aus Mitleid weil sie keine Hupe haben.

Wir halten am Rande einer kleinen Siedlung inmitten von hochgewachsenen Häusern. Zusammen mit Vinita bahnen wir uns den Weg ins Innere des „Slums“. Über uns ein Gewirr aus Leinen und Kabeln. Die Stromversorgung darf man getrost als mehr als Abenteuerlich bezeichnen. Darüber geworfen Laken, Tücher und Wäsche jeglicher Art. Ein Geruch von Seife liegt in der Luft und nach wenigen Schritten liegen sie vor uns – die unzähligen Becken aus Beton – aneinandergereiht zu einer riesigen Waschstrasse: Der „Dhobi Ghat“, das Wäschereiviertel Mumbais. Und gewaschen wird nicht nur die Wäsche der bessergestellten Familien, sondern auch gerne mal der Wäscher (Dhobi) selbst.

Weiter geht’s… Über dem Koli Viertel – dem Viertel der Fischer- liegt der Geruch nach Meeresgetier wie eine Glocke. In einfachsten Verschlägen wohnen hier diejenigen, die sich noch vor Morgengrauen auf machen mit ihren Booten um einen möglichst guten Fang nach Hause zu bringen, der jetzt am Tag, von ihren Frauen in der prallen Sonne auf dem schlammigen Boden feil geboten wird. Währenddessen werden Netz geflickt und auf einfachen offenen Feuerstellen Fladenbrote für das Mittagessen vorbereitet. Ein kleines Mädchen – höchstens 2 – stolpert vor uns fröhlich durch den Dreck. Sie wohnt unter einer Plane auf einem Stück Pappkarton. Ihr Bruder sortiert ein paar Meter weiter einen Berg Müll, ob sich noch was Brauchbares findet. Wir sind verlegen, trauen uns kaum unsere Kameras heraus zu holen. Dabei sind diese die größte Attraktion. Nichts scheint für alle Umstehenden interessanter zu sein, als die Bilder die kurz nach dem auslösen auf unseren digitalen Bildschirmen erscheinen. Ein Kindergarten (nicht mehr als eine einfache Hütte)  hat seine Außenwand mit bunten Bildern geschmückt – ein Malwettbewerb – der „Tante Emma Laden“ des Viertels bietet zum Transport Einkaufstüten einer großen Fastfoodkette feil, und im Hintergrund ragen die glänzenden Hochhausfassaden in den Himmel und zeugen von einem anderen Mumbai. Denn in Mumbai leben mehr Dollarmillionäre als in der gesamten Bundesrepublik und nirgendwo auf der Welt explodieren die Grundstückspreise wie hier.

Wir besuchen den „Kamala Nehru Park“ – auch „Hanging Gardens“ genannt –  und erfahren über die für uns sehr spezielle Art der Bestattung der Parsen, die ihre Toten auf den „Türmen des Schweigens“ aufbahren um sie dem Wind, dem Wetter und den Geistern zu überlassen. So werden die in ihren Augen heiligen Elemente Erde, Feuer und Wasser nicht verunreinig. Die kreisenden Vögel sind schon von Weitem zu sehen…. Von Vinita erfahren wir, dass Trinkwasser für viele Einwohner keine Selbstverständlichkeit ist und sie jeden Morgen lange dafür anstehen, und dass sich in Mumbai Religionen wie Hinduismus, Buddhismus, Christentum, Parsen und Muslims friedlich ergänzen. Und in der Tat erblicken wir Moscheen neben Kirchen, Tempel neben Synagogen. Immer wieder begegnet uns die „Schwastika“. In Reis gezeichnet, für die Meditation, an Tempelmauern und Gebäuden. Einst Zeichen der Sommersonnenwende heute Mahnzeichen einer schlimmen Epoche. Hier in Indien eines der häufigsten religiösen Zeichen – wir können uns unseres mulmigen Bauchgefühls bei ihrem Anblick trotz besseren Wissens um ihre ursprüngliche Bedeutung nicht erwehren.

Zur Mittagszeit beobachten wir voll Verwirrung und Staunen das hektische Gewusel der „Dabbawallahs“, der „Essensbringer“, die flink und sicher unzählige silberne Töpfe, Tiegel und Säckchen mit Essen zu Fuß, per Fahrrad, Zug oder Bus durch das Großstadtgewusel befördern. Am Morgen holen sie die einzelnen Mahlzeiten bei sorgenden Ehefrauen und Müttern ab und sorgen dafür, dass Sohn oder Ehemann echtes „Homemade Food“ am Arbeitsplatz genießen können. Wie alle Töpfe und Tiegel am rechten Ort landen ist für uns nicht durchschaubar – sind sie doch lediglich mit einem Gewirr aus Buchstaben und Zahlen beschriftet. Adressen Aufkleber: Fehlanzeige!! Zumal wir viel zu sehr damit beschäftigt sind nicht von einem heranrollenden Taxi, Laster oder Rinderkarren über den Haufen gefahren zu werden.

Mumbai ist ein Moloch. Ein faszinierender Schmelztiegel aus Lärm, Menschenmassen unterschiedlichster Nationen, Tieren und den abenteuerlichsten Gefährten. Wir könnten uns auch gut und gerne einfach auf ein Mäuerchen setzen und einfach nur beobachten…nicht eine Minute würde uns langweilig werden. Nach einem aufwühlenden Tag in Mumbais Straßen, dem Besuch von Ghandis Wohnhaus, Tempeln und Märkten beenden wir den Abend nach einem wunderbaren Essen und fallen müde ins Bett.

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